Vortrag von Manfred Nuber

Von Jochen Clauß 

Mit den BUND Ortsgruppen Leonberg, Weissach-Flacht und dem vortragenden Fachberater für Obst- und Gartenbau beim Landratsamt Böblingen Manfred Nuber.

 

Die Geschichte des Apfels

Um den Wandel darzustellen, betrachten wir als Ausgangspunkt die Geschichte des Obstanbaus.Der Apfel stammt ursprünglich aus den nordseits gelegenen Tälern des Himalaya. Dort begann alles vor mindestens 3000 Jahren. Heute gibt es dort noch (Ur-)Wälder mit Apfelbäumen. Entlang der alten Seidenstraße verbreitete sich der Apfel dann über die Hochkulturen im Zweistromland, Ägypten, Griechenland und letztlich mit den Römern zu uns. Die Größe des Apfels entwickelte sich dabei von Beerengröße auf eine Frucht mit 6 cm Durchmesser. Mit dem Niedergang des römischen Reiches ging auch der Apfelanbau hierzulande zurück. Erst mit Karl dem Großen wurde die Apfelkultivierung wieder intensiviert. Mit Hilfe der Klosterorden wurden innerhalb der Ordensorte in den vielen Ländern und Gebieten Europas Edelreiser, also unterschiedliche Sorten, und Schnitttechniken verbreitet.

Die Bewaldung Europas wurde im 12. Jahrhundert, also in der Wachstumszeit des Hochmittelalters um ein Drittel zurückgedrängt. Es wurde so mehr Kulturfläche geschaffen, unter anderem auch für Apfelbäume. Nach dem 30-jährigem Krieg wurde dann im 17. Jahrhundert ein weiteres Drittel der Waldfläche Europas gerodet. Es wurde mehr Kulturfläche gebraucht, um die Bevölkerung zu ernähren. Hier sorgten nicht nur die Herrschenden, sondern insbesondere ihre Gattinnen (Olga, Katharina, Vera) und Favoritinnen (Franziska v. Hohenheim) für weitere Verbesserungen. Heutzutage würde man das Diversifizierung nennen.

Es entstanden Streuobstgürtel um die Dörfer herum. Die Nähe war wichtig, um den hohen Pflegeaufwand für Streuobst nicht noch zusätzlich durch Wegzeiten auszuweiten. Auch die Obsternte, z.B. Kochbirne, wurde durch die Nähe zum Ort erleichtert. Ebenso war die soziale Kontrolle der begehrten Früchte, sprich Diebstahlschutz, so einfacher.Auf Äckern wurde dazu nicht nur Getreide, sondern sozusagen in zweiter Etage Obst auf Bäumen angebaut. Es war somit ein heißer Sommer für das Getreide gut und schlecht für das Obst. Ein nasser Sommer hingegen war für das Getreide schlecht und für das Obst gut. Egal wie herum, es gab auf jeden Fall etwas zu essen. Weitere Maßnahmen waren Obstalleen, damit unproduktive Flächen wie Straßenränder auch genutzt wurden. Begleitend wurden Baumschulen zur Baumvermehrung gegründet, z.B. neben dem Schloss Solitude unter der Leitung von Friedrich Schillers Vater.

In der Neuzeit

Die Gestaltung des traditionellen Streuobstanbaus war dominiert von Aspekten des Eigenverbrauchs. Sortenvielfalt entstand als Folge der Nutzungsvielfalt für die unterschiedlichen Zwecke.Früher bedeutsame Methoden Obst haltbar zu machen waren entweder die Vermostung oder als Dörrobst. Gedörrt war Obst halt- und transportierbar. Z.B. wurde im Heckengäu Obst über dem Backhausofen getrocknet. Es gab lokale Dörrobstabgabestellen und für überregionales Geschäft die zentrale Sammelstelle beim Stuttgarter Nordbahnhof. Es gab pro Woche einen Zug mit Dörrobst von Stuttgart nach Paris. Dörrobst stellte durch die Möglichkeit des Verkaufs eine Geldquelle jenseits des sonst gebräuchlichen Eigenverbrauchs dar.

Mit der Abkehr von der Eigenversorgung kam in Folge der Wandel zum Verkauf von Obst nicht nur als Dörrware.Ein Wandel zu handelbarer Ware bezüglich Transportfähigkeit und Haltbarkeit wurde zwingend und fand Ausdruck in staatlichen Vorgaben, um dieses Ziel zu erreichen.

Für einen Handel mit Obst als Frischware wurden also neue Sorten und wirtschaftlichere Anbaumethoden benötigt.

Dazu muss man wissen, Äpfelbäume sind immer veredelt. D.h. sie setzen sich aus einer aus einem Sämling stammenden Unterlage und einem aufgepfropften Reisig der gewünschten Sorte zusammen.

Abgesehen von Sorteneigenschaften, die sich durch Zucht vergleichsweise einfach verändern lassen, sind der Wuchs und die Ertragseigenschaften schwieriger zu verändern. Schwachwachsende Bäume bringen mehr Erntemenge pro Hektar bei einfacher und sicherer Bearbeitung. Wenn man nun kleinere und so leichter erntbare Bäume haben will, muss man bei der Wurzel ansetzen.

Denn das Volumen eines Baumes wird immer von der Wurzel bestimmt. Es lässt sich durch Schnitt nicht reduzieren, es lässt sich nur umformen. Nun sind von Natur aus wegen der natürlichen Auslese 99,99% aller Sämlinge stark wachsend. Also hat man in der englischen Forschungsanstalt Malling kurzerhand sehr viele Kerne ausgesät, um irgendwann auf den 0,01%- anteiligen schwachwüchsigen Sämling zu stoßen.

Erste schwachwüchsige Unterlagen kamen in den 1950er Jahren auf den Markt. Ende der 1960er Jahre gab es dann die Unterlage „M9“, die nur noch 20% der ursprünglichen Wuchshöhe erreichte.

Neugierige Frage: Wie vermehrt man denn nun die schwachwüchsige Unterlage, da Kerne von einem Baum mit schwachwüchsiger Unterlage ja auch wieder 99,99% starkwüchsige Unterlagen hervorbringen? Vereinfacht dargestellte Antwort darauf sind spezielle Unterlagenbaumschulen, die in einer Art Anhäufeln - wie vom Kartoffelanbau bekannt – von schwachwüchsigen Bäumchen Wurzelableger gewinnen.

Obstanbau seit dem zweiten Weltkrieg

Was kann man mit Obst verdienen?
Ein Vergleich früher zu heute:

  • 1960 gab es umgerechnet 7,50€ für 100kg Mostobst. Beim Daimler gab es 2,50€ Stundenlohn.
  • 2024 gibt es immer noch 7,50€ für 100kg Mostobst. Dafür muss man 10 Minuten beim Daimler arbeiten. Als Fördermaßnahme bei Streuobst gibt der „Landkreisapfelsaft“ für 100 kg Mostobst zusätzlich noch 7.50€ obendrauf.

Mithin, es ist nicht mehr lukrativ Obst aufzusammeln.

Wie schaut es mit Obstverkauf in Eigenvermarktung aus?
In Konkurrenz zur Handelsware bleibt Obsterzeugern, da er ja nicht noch teures Personal und Laden vorhalten will, nur die Eigenvermarktung mit Vertrauenskasse. Damit er preislich irgendwie in die Nähe des Preises der großen Handelsketten kommt.

Das Beispiel einer Apfelspindelanlage mit maximaler Baumhöhe von 2,5m erreicht bei Direktvermarktung mit Vertrauenskasse ~90% Ehrlichkeit. Zum Vergleich: Blumendirektvermarkter („Blumen selber schneiden“) rechnen mit ~50% Ehrlichkeit.

Was kann man verkaufen?

Die Eigenverbrauchssorten von der Streuobstwiese ließen sich meistens nicht handeln und es wurden neue Sorten nötig.

Beispiel: Den gut lagerbaren Brettacher gibt es seit ca. 1920. Leider eignet er sich aber nicht für den Erwerbsanbau, da er druckempfindlich ist.

Auch jetzt werden Apfelsorten immer wieder durch neuere, besser funktionierende ersetzt. Vielfach werden beispielsweise die Sorten „Gala“ oder auch „Braeburn“ nicht mehr weiter gezogen. Auch der erst seit 10 Jahren eingeführte „Topaz“ wird sich nicht halten, da dieser sehr empfindlich gegen Blattläuse, Kragenfäule und besonders den schwarzen Rindenbrand ist.

Wie steht es mit den Kosten damals und heute dar?

Die Pflege der Streuobstwiesen mit Tätigkeiten wie Schneiden, Baumscheibe hacken, Schutz vor Wühlmäusen und Wildverbiss, durch Baumwarte war bis in die 60er Jahre noch wirtschaftlich. Der Lohn für Schneiden stieg im Lauf der Zeit von 7 Mark auf 20 Mark.
Von den Gemeinden angeordnete Zwangsbaumschutzmaßnahmen (v.a. Spritzen) wurde durch Baumwarte ausgeführt.
Die Situation des Streuobstanbaus stellt sich heute so dar, dass Zwetschgen über den Handel in Verkehr gebracht werden, Kirsche und Apfel nur in Direktvermarktung.
Zwetschge und Kirsche sind nur mit Pflanzenschutzbehandlung in einen verkaufsfähigen Zustand zu bekommen. Dabei kommen immer neue staatliche Auflagen zum Tragen.
Im Erwerbsanbau wird der Markt jenseits der Eigenvermarktung von den vier großen Supermarktketten Edeka-Gruppe, Rewe-Gruppe, Aldi und Schwarz-Gruppe (Lidl) bestimmt.

Neuster Trend ist eine Zertifizierung der Handelsketten für Produzenten, bei denen zu etwa 50 gesetzlichen Anforderung noch ungefähr 200 weitere seitens des Handels kommen. Für den Erzeuger summieren sich die Kosten der Zertifizierung auf ungefähr 450€ pro Jahr.

Warum Streuobstwiese heute noch? Oder Warum nicht?

Was hemmt die Motivation, sich heute noch mit Streuobstwiesen abzugeben?

  • Wirtschaftlichkeit lässt sich kaum mehr erlangen. Vielfach ist es ein Zuschussgeschäft wegen steigender Kosten bei Arbeitskraft, Transport und Lagerung.
  • Unterschiedlichste Einflüsse verschiedener staatlicher Stellen (Agrar vs. Naturschutz) mit widersprüchlichen Zielsetzungen, teilweise sogar Ressort intern, führen zu immer neuen Vorschriften. Auch hier ist die Folge steigende Kosten im Falle des Erwerbsanbaus.
  • Zertifizierungsanforderungen des Handels lassen die Kosten weiter steigen.

So dargestellt, ist es unterm Strich wohl vielfach unrentabel im Handel Geld mit Streuobst verdienen zu wollen. Einzig die Direktvermarktung durch die Erzeuger scheint hier eine Möglichkeit darzustellen.

Eventuell bietet eine Orientierung zur Vielfalt einen Ausweg. Dies ist jedoch schwierig umzusetzen. Ein Beispiel ist die vorgeschriebene Mähhäufigkeit der Streuobstwiese. Für ein größeres Gebiet könnte ein Nebeneinander von Streuobstwiesen mit Rasen, Kuhfutter oder Pferdefutter ermöglicht werden. Damit ließen sich ansonsten einseitige Anforderungen hinsichtlich einer Vorschrift auf die Bedürfnisse der Nutzer flexibilisieren, ohne die Zielsetzung für dieses größere Gebiet wesentlich zu verschlechtern.
Letztendlich ein schwieriges Thema mit vielen Detailfragen und hoher Anforderung hinsichtlich Kompromissfähigkeit zwischen vermeintlich widerstrebenden Interessen.

Was kann heutzutage jemanden motivieren, sich mit einer Streuobstwiese zu beschäftigen?

  • Spaß an der Ernte nach der Arbeit übers Jahr.
  • Naturschutz als Motivation, um die Artenvielfalt zu erhalten.
  • Ausgleich zum Beruf, Burn-Out-Prophylaxe durch ganz andere „Arbeit“.
  • Workout bei der Pflege, denn das Jahr auf der Streuobstwiese ist fordernd.
  • Tradition, denn die Leistungen der Generationen sollen erhalten werden.
  • Schamgefühl, wenn die (familien-)eigene Wiese verkommt.

Streuobstbestände in Baden-Württemberg und Ausblick

1960 wurden 18 Mio. Obstbäume wie Apfel, Birne, Kirsche, Zwetschgen (um 1900 hatte Zwetschge 30% Anteil am Baumbestand) gezählt.

1990 wurde als Hochrechnung noch 11 Mio. Obstbäume ermittelt.

2005 wurden 9,5 Mio. Bäume aus einer Befliegung mit LIDAR (und eingeschlossener Fehlerkorrektur) ermittelt.

2018 wurde noch 7,2 Mio. Bäume ermittelt.

Die Bestände werden aber nicht weiter linear zurückgehen. Eine Vielzahl, 70-80%, der Obstbäume heute wurde in den 40er und 50er Jahren gepflanzt. Aus der natürlichen Lebenszeit der Obstbäume, 60-80 Jahre bei Zwetschgen und Kirschen, 80-100 Jahre bei Apfelbäumen, 110-130 Jahre bei Birnenbäumen, ist der Überalterung der Bestände zu sehen und die Zahl der Bäume wird sich in kurzer Zeit stark reduzieren.

Die Betrachtung der Verkaufszahlen von Obstbaumjungbäumen legt eigentlich den Schluss nahe, dass der Bestand erhalten werden könnte. Es zeigt sich aber, dass dies nicht der Fall ist. Eine mangelnde Fürsorge und Pflege für die nachgepflanzten Jungbäume lässt diese oft schnell stark altern. Für die letzten vierzig Jahre wurde ein geringer Zuwachs der Stärke der Jahresringe ermittelt. Neben Wassermangel ist auch fehlende Düngung ein möglicher Grund dafür. Bei Düngung können Mängel individuell sein. Vor einer Düngung ist daher zu ermitteln, welche Stoffe fehlen. Fehlt Phosphor, Kalium, Magnesium oder Stickstoff? Klarheit schafft eine Bodenprobe, eine solche kostet etwa 18€ pro Probe.

Draußen auf den Streuobstwiesen

Spaziergang mit Manfred Nuber zum Thema Streuobstwiesen bei der BUND Ortsgruppe Weissach-Flacht  (Bild J. Sparakowski)

Um Einiges noch live zu sehen, wurde noch ein Streuobstgebiet im Gewann Hagbusch begangen. Es zeigte sich eine Kombination aus einerseits alten und andererseits recht neu gepflanzten Bäumen. Die mittelalten Bäume fehlten sozusagen.

Bei vielen der Bäume war ein Befall mit Apfelgespinstmotte festzustellen. Die Larven der Motte fressen die Blätter des Baumes und schwächen ihn somit. Gegenmittel, in diesem Fall Insektizide, gibt es zwar, sie erledigen aber auch alle anderen Falter und Schmetterlinge, was nicht gut ist. Eine mögliche Lösung ist die Verwendung von Parasiten der Larven.

Ein paar ältere Bäume waren vom schwarzen Rindenbrand gezeichnet. Der schwarze Rindenbrand ist ein Pilz, der zuerst Teile und in der Folge den gesamten Baum absterben lässt. Andere Bäume werden über die Luft mit Sporen des Pilzes befallen. Diese Sporen sind allein in einem Kubikmeter Luft zu Milliarden enthalten. Es ist also gar nicht möglich den Pilz zu vermeiden. Begünstigt wird die Ausbreitung des schwarzen Rindenbrands durch Hitze. Durch ebendiese Hitze geschwächte Bäume haben neben Wasser- auch oft Nährstoffmangel, insbesondere fehlt da Kalium. Ein wirksames Heilmittel steht nicht zur Verfügung, es muss also vorbeugend darauf geachtet werden, dass ein Baum nicht so geschwächt ist, dass er zur leichten Beute wird. Ideal ist daher eine ausreichende Wasserversorgung, eine freigehaltene Baumscheibe zur Senkung der Wasserkonkurrenz und wenig verletzte Stellen der Rinde eines Baumes, damit keine Einfallstore für den Pilz vorhanden sind.

Insgesamt bestätigt sich vor Ort das bereits im Vortrag vorher gewonnene Bild. Viele der alten Bäume sind abgängig und es kommen nur vereinzelt Jungbäume nach.

Fazit

Der Jahresausflug zeichnete sich dieses Jahr weniger durch die Menge der zurückgelegten Ausflugskilometer als vielmehr durch die Menge des leichtfüßig dargebrachten Wissens aus. Da sei nochmal Herrn Nuber für den hervorragenden Vortrag gedankt

Einem interessierten Kreis von Teilnehmern wurde ein umfassender Überblick über die Entstehung und Gegenwart des Streuobstanbaus gegeben. Das unterhaltsam dargestellte Wissen um die geschichtlichen Abläufe, den kommerziellen Aspekt, der heutigen Situation und der möglichen Weiterentwicklungen wurden in Vortrag, gemeinsamen Pizza-Essen, Wiesenbegang und abschließendem Kaffeetrinken genossen.
Ein Ausblick auf die Zukunft kann nur dazu ermuntern, den Erhalt der im Lauf der Jahrhunderte entstandenen Kulturlandschaft Streuobstwiese zu unterstützen. Die Streuobstwiese mit ihrem artenreichen Mikroklima bedarf der andauernden Pflege. Die Motivation dazu wird aber nicht mehr durch die kommerzielle Erwartung bestimmt, sondern durch individuelle Interessen. Denn der Lauf der Zeit hat auch in diesem Bereich gezeigt, dass Wandel in einer sich verändernden Umgebung beständig ist.